Wie viele von uns weißt du wahrscheinlich, wie man ein Sandwich zubereitet, einen Waschgang startet oder einen Scheck ausstellt. Nichts leichter als das, denkst du dir womöglich. Also könntest du wahrscheinlich auch jemand anderen damit beauftragen, oder? Aber was, wenn derjenige nicht weiß, was Brot, eine Waschmaschine oder ein Stift ist? Das macht die ganze Sache schon etwas komplizierter.
Für kleine bis mittelgroße Unternehmen mögen einige Prozesse einfach erscheinen, was sich aber schnell ändern kann, sobald unterschiedliche Faktoren und alternative Abläufe ins Spiel kommen. Genau aus diesem Grund ist es für die Projektplanung und Produktentwicklung unerlässlich, geschäftliche Anwendungsfälle zu erstellen.
Was ist ein Anwendungsfall?
Ein Anwendungsfall ist eine schriftliche, detaillierte Beschreibung, in der dargelegt wird, wie ein Endbenutzer (also ein Kunde) ein System oder Produkt nutzt. Ziel dabei ist es, die Interaktionen zwischen deinem Kunden und deinem System oder deinen Produkten Schritt für Schritt nachvollziehen zu können.
Um es ganz einfach auszudrücken: Beim Erstellen eines Anwendungsfalls ist der Weg das Ziel. Dabei dreht sich alles darum, herauszufinden, wie jemand von Punkt A zu Punkt B gelangt. Während das Ziel darin besteht, dass die Person Punkt B erreicht, geht es beim Ausarbeiten eines Anwendungsfalls eher darum, die technischen Schritte zu verstehen, die erforderlich sind, um Punkt B zu erreichen.
Aus unternehmerischer Sicht ist die Person dein Kunde, und Punkt B ist das Ziel des Kunden. Bei einem geschäftlichen Anwendungsfall gilt es herauszufinden, welche Schritte erforderlich sind, damit dein Kunde auch ans Ziel kommt – ob es darum geht, einen Kauf zu tätigen oder auf einen Tab auf deiner Website zu klicken, um zu einer gewünschten Seite zu gelangen. Sobald ein Anwendungsfall geschrieben ist, liegt es an deinen Ingenieuren und Softwareentwicklern, jeden dieser Abläufe korrekt zu designen und zu programmieren.
Bei vielen Unternehmen kommen Anwendungsfälle zum Einsatz. In hohem Maße darauf angewiesen sind jedoch Teams in den folgenden Bereichen: Software- und Produktentwicklung.
System- und Softwareentwicklung
Anwendungsfälle werden hauptsächlich in der Software- und Systementwicklung erstellt. Sie helfen Entwicklern und Ingenieuren zu verstehen, wie ein Benutzer aus Sicht der Benutzeroberfläche (UI) mit einem System interagiert.
Wenn du beispielsweise einen Online-Shop betreibst, musst du dir Gedanken darüber machen, welche Aktionen deine Kunden auf deiner Website ausführen würden. Wenn ein Kunde deine Website besucht und einen Artikel kaufen möchte, wie könnte er dabei vorgehen? Die meisten Online-Kunden sind zwar mit der Benutzeroberfläche einer Website vertraut, aber das bedeutet trotzdem, dass dein Anwendungsfall „Kunde tätigt einen Kauf“ Folgendes beinhalten sollte:
- Handelt es sich um einen registrierten Benutzer oder einen neuen Kunden?
- Wie kann ein Benutzer etwas zu seinem Warenkorb hinzufügen?
- Wie kann ein Benutzer einen Artikel aus seinem Warenkorb löschen?
- Welche Informationen musst der Benutzer vor dem Checkout angeben?
Produktentwicklung
Anwendungsfälle werden auch während des Produktentwicklungsprozesses erstellt. Sie helfen Projektmanagern und Entwicklern dabei, aus Sicht der Geschäftsanalyse und der Unternehmensführung zu verstehen, wie ein Benutzer mit einem Produkt interagiert.
Nehmen wir ein Glasgefäß mit einem Blechdeckel als Beispiel. Es gibt viele Verwendungsmöglichkeiten dafür: Du kannst Lebensmittel darin aufbewahren, daraus trinken oder Haushaltsgegenstände darin aufbewahren.
Stell dir nun vor, dein Unternehmen verkauft anstelle von Glasgefäßen Technologiegeräte oder Software – also etwas, das weitaus komplizierter ist und viele Überlegungen erfordert, wie Benutzer damit interagieren können. Hierfür muss dein Produktentwicklungsteam mit deinen Ingenieuren zusammenarbeiten, um alle möglichen Aktionen zu identifizieren, die Benutzer mit diesem Produkt ausführen könnten.
Anwendungsfall vs. User Story vs. Prozessablauf
Anwendungsfälle sind sowohl mit User Stories als auch Prozessabläufen vergleichbar, verfolgen aber unterschiedliche Zwecke.
Eine User Story stellt deine Zielgruppe in den Mittelpunkt. Im Gegensatz zu einem Anwendungsfall, der konkrete Schritte beschreibt, wie ein Benutzer an sein Ziel kommen kann, werden bei einer User Story die Bedürfnisse und Wünsche des Benutzers zur Erreichung dieses Ziels berücksichtigt.
User Stories sind meist nach dem folgenden Schema aufgebaut: „Als (Rolle) kann ich (Funktion), damit (Nutzen)“. Das könnte dann so aussehen: „Als Kunde kann ich meine Lieblingsmarke online einkaufen, damit ich nicht stundenlang in einem Kaufhaus danach suchen muss.“ Hier geht es um den Wunsch des Kunden, nämlich einen Artikel online zu finden, ohne ein Ladengeschäft besuchen zu müssen.
Alternativ sind Prozessabläufe, Prozessdokumente oder Schritt-für-Schritt-Anleitungen allgemeine Formate, mit denen sich die notwendigen Schritte für jemanden beschreiben lassen, der ein Ziel erreichen will. Zu den Beispielen für Prozessabläufe gehören beispielsweise Leitfäden für das Onboarding neuer Mitarbeiter oder eine Checkliste für den Vertrieb.
Der Unterschied zu einem Anwendungsfall besteht darin, dass Prozessabläufe im Grunde jeden Schritt anführen und sich dabei auf unterschiedliche Interaktionen zwischen Personen, Objekten und anderen Prozessen konzentrieren. Dahingegen liegt der Schwerpunkt bei einem Anwendungsfall nur auf der Interaktion des Benutzers mit einem System oder Produkt.
Warum du ein Anwendungsfallmodell für Geschäftsprozesse benötigst
Einen umfangreichen Anwendungsfall zu beschreiben, kann anfangs Zeit in Anspruch nehmen. Sobald du aber geübter darin bist und weißt, worauf es ankommt, wirst du von den damit verbundenen Vorteile profitieren.
Große Projekte aufschlüsseln
Das Erstellen von anschaulichen Anwendungsfällen ist ein Teil von Scrum und Agile-Marketing, weil sie helfen, die Produktion zu optimieren und komplexe Aufgaben zu vereinfachen. Natürlich ist die Idee, ein innovatives und einzigartiges Produkt zu entwickeln, in konzeptioneller Hinsicht vielleicht leicht zu erfassen. Du benötigst jedoch ein Anwendungsfallmodell, das dir bei der Unterteilung der einzelnen Aufgaben hilft, damit deine Benutzer ihr Ziel erreichen und dein Produkt auch tatsächlich verwenden können. Das wird auch deinem Produktentwicklungs- und Softwareentwicklungsteam als Orientierungshilfe dienen, wenn sie die einzelnen Anwendungsfälle nacheinander durchgehen.
Die Perspektive der Kunden einnehmen
Bei Anwendungsfällen geht es letztlich darum, sich an den Bedürfnissen deiner Kunden auszurichten und jede Aufgabe so zu planen, dass deine Kunden den größtmöglichen Nutzen davon haben. Indem du die Hauptziele deiner Kunden in kleinere Systemanwendungsfälle aufteilst, kannst du dem Team die notwendigen Informationen an die Hand geben, die es braucht, um die ganzheitliche Perspektive der Kunden bei jeder Aufgabe zu verstehen.
Bereitet dich auf alternative Ergebnisse und Hindernisse vor
Nicht jedes Projekt verläuft zu 100 % wie geplant. Anwendungsfälle können dir helfen, für Alternativszenarien gerüstet zu sein, wenn Aufgaben wegen neuer Hindernisse oder sogar anderer Aufgaben nicht ausgeführt werden können. Wenn du vorausschauend planst und für alle Eventualitäten gewappnet bist, können du und dein Team sofort wieder an Fahrt aufnehmen. Allein das Schreiben eines Anwendungsfalls kann nützlich sein, um Aufgaben auszumachen, die dein Kundenstamm möglicherweise nicht mehr als wertvoll erachtet. Denn so kannst du dich besser auf deine Zielgruppe einstellen.
Anatomie eines Anwendungsfalls
Weiter geht's nun mit den Hauptbestandteilen, die es beim Erstellen von geschäftlichen Anwendungsfällen zu berücksichtigen gilt.
Akteure
Die Akteure sind die Personen, die mit deinem Produkt oder System interagieren. In der Produktentwicklung handelt es sich bei diesen Geschäftsakteuren normalerweise um deine Kunden, entweder einzeln oder als Gruppe. In der Softwareentwicklung kann damit auch ein externes Computersystem gemeint sein, das mit deinem Prozess interagiert, wie z. B. die Zwei-Faktor-Authentifizierung oder ein Bestandsverwaltungssystem.
Ein primärer Akteur ist der eigentliche Benutzer, der die die Unterstützung des Produkts oder Systems selbst sucht. In einigen Anwendungsfällen kann es auch sekundäre Akteure geben, die ebenfalls Interaktionen durchführen. Die Hauptrolle nimmt aber der primäre Akteur ein, weil er der „Drahtzieher“ ist, der den Anwendungsfall normalerweise auslöst.
Ziele
Das Ziel ist das Ergebnis, das durch die Interaktionen deines Akteurs mit deinem Produkt oder System angestrebt wird – also das, was dein Akteur am Ende des Anwendungsszenarios erreichen will.
Systeme
Bei einem Anwendungsfall bezeichnet das System den Prozess, über den deine Akteure ans Ziel gelangen. Hier beschreibst du die einzelnen Schritte, wenn du einen Anwendungsfall erstellst.
Normale und alternative Kurse
Innerhalb deines Systems notierst du einen normalen Ablauf. Dabei handelt es sich um die detaillierte Schritt-für-Schritt-Beschreibung, die darlegt, wie die Akteure das Ziel erreichen werden. Es gibt auch alternative Vorgehensweisen, die verschiedene Wege für deine Akteure aufzeigen.
Erfolgs- und Misserfolgsszenarien
Ein Erfolgsszenario liegt vor, wenn es deinem Akteur gelungen ist, jeden Schritt in deinem System erfolgreich abzuschließen. Für jeden Anwendungsfall solltest du immer das wichtigste Erfolgsszenario beschreiben, in dem dein Akteur ein Ziel erreicht. Allerdings gilt es auch, ein Misserfolgsszenario mit aufzunehmen, das genau dann eintritt, wenn dein Akteur das Ziel verfehlt.
Wie man einen geschäftlichen Anwendungsfall schreibt
Einen Anwendungsfall für neue Systeme zu schreiben, kann einfach sein, wenn du von Grund auf damit beginnst. Meist kannst du darauf aufbauen und eine ähnliche Vorlage verwenden, wenn du eine weitere Dokumentation von Systemfunktionen erstellst. Anders ist das bei Anwendungsfällen für bestehende Prozesse: Denn dann solltest du dir bewusst sein, dass du die Systeme wahrscheinlich immer wieder in kleinere Ziele aufteilen musst.
Definiere deinen Kunden
Zuerst musst du deinen primären Akteur bestimmen. In der Regel handelt es sich dabei um deine Kunden, aber wie bereits erwähnt, kann das auch ein externes System sein. Wenn du dir nicht sicher bist, wer zu deinem Kundenstamm gehört, empfiehlt es sich, deine Zielgruppe zu segmentieren. Das wird dir helfen, die Persönlichkeitstypen, Werte und Verhaltensweisen deiner Zielgruppe zu identifizieren.
Lege die Ziele deiner Kunden fest
Als Nächstes musst du dir überlegen, welche konkreten Ziele deine Kunden erreichen müssen, um mit deinem Produkt oder System zu interagieren. Wenn du beispielsweise ein Blogger bist, der Waren verkauft, musst du all die verschiedenen Anwendungsfälle berücksichtigen, die beschreiben, wie deine Kunden deinen Blog lesen, ein Produkt kaufen oder dich kontaktieren können.
Erstelle ein geschäftliches Anwendungsfallmodell
Jetzt gilt es, dein Anwendungsfallmodell auszuarbeiten. Das gelingt dir am besten durch eine visuelle Darstellung wie ein Anwendungsfalldiagramm. Dabei handelt es sich um eine einfache Skizze, in der du den primären Akteur, sein Ziel und das System, mit dem er interagiert, abbildest. Dafür kannst du aber auch standardisierte Vorlagen verwenden.
Dein Anwendungsfalldiagramm sollte den normalen und alternativen Ablauf beschreiben. Angenommen, in deinem Anwendungsfallmodell geht es darum, wie ein Kunde einen Artikel in deinem Online-Shop kaufen würde.
Ein normaler Ablauf würde jeden dieser Schritte ausführen, wie etwa das Hinzufügen des gewünschten Artikels zum Warenkorb, den Weg zum Checkout und das Ausfüllen der Versandinformationen. Ein alternativer Ablauf würde berücksichtigen, was passieren könnte, wenn ein Kunde eine unvollständige Adresse oder eine falsche Kreditkartennummer eingibt. Dabei ist wichtig zu beachten, dass ein Kunde sein gewünschtes Ziel auch erreichen sollte, wenn ein Alternativszenario eintritt.
Dieses Anwendungsfallsystem könnte jedoch zu einem Misserfolgsszenario führen. Denn wenn der Kunde beispielsweise feststellt, dass der gewünschte Artikel nicht in seiner Größe verfügbar oder ausverkauft ist, wird er sein Ziel, einen Kauf zu tätigen, nicht erreichen.
Identifiziere Beziehungen zwischen Anwendungsfällen
Einige Anwendungsfälle lassen sich recht einfach beschreiben, bei anderen kann sich das durchaus komplizierter gestalten. Wenn verschiedene Akteure beteiligt sind und du mehrere Anwendungsfälle mit unterschiedlichen Abläufen hast, ist es wichtig, zu verstehen, wie diese miteinander in Verbindung stehen.
Angenommen, du betreibst eine Online-Reiseagentur. Wenn du einen Anwendungsfall für einen Kunden erstellt hast, der Hilfe bei der Planung seiner Reise benötigt, und einen weiteren für einen Kunden in petto hast, der Unterstützung bei der Umbuchung seiner Reise benötigt, könntest du dir überlegen, die beiden zu kombinieren. Denn schließlich haben beide Arten von Kunden dasselbe Ziel: Sie möchten deinen Kundensupport kontaktieren.
Lege die Benutzeranforderungsspezifikation fest
Sobald du deinen Anwendungsfall aufgeschrieben hast, ist es an der Zeit, die Benutzeranforderungsspezifikation zu erstellen. Dabei handelt es sich um eine Auflistung grundlegender Anforderungen, die ein Benutzer erfüllen muss, um sein Ziel zu erreichen.
Während Anwendungsfälle meist intern erstellt werden, sind an der Ausarbeitung von Benutzeranforderungen externe Personen beteiligt. Sie werden auch als Benutzerakzeptanztests bezeichnet und von Benutzern durchgeführt, die dein Produkt oder System testen, um zu überprüfen, ob es ordnungsgemäß funktioniert. Wenn deine Benutzer ihr Ziel erreichen, ist dein System erfolgreich. Aber wenn sie auf zu viele Hindernisse stoßen, könnte das bedeuten, dass sie wieder von vorne beginnen müssen.
Optimiere deine Geschäftsabläufe mit effizienten Anwendungsfällen
Anwendungsfälle sind das, was es braucht, um Geschäftskonzepte und -szenarien in die Realität umzusetzen. Sie helfen dabei, den Teams eine Richtung vorzugeben und Hindernisse zu erkennen – mit dem Ziel, deinen Kunden ein nahtloses Erlebnis zu bieten. Sobald du geübter im Erstellen von Anwendungsfällen bist, wirst es ein Leichtes sein, dein Unternehmen auf Erfolgskurs zu bringen.